HUSKY-Betreuungstellen in Köln Basis für Masterarbeit an der Universität Innsbruck

Die deutsche Studentin der Erziehungswissenschaften an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck (Österreich), Michaela Hierl (BA), besuchte im letzten Sommer eine individualpädagogische Fachveranstaltung an der Fachhochschule Bielefeld, die zusammen mit Frauke Mangels maßgeblich von Projekt Husky gestaltet wurde. Bei ihrer Teilnahme an einem nachmittäglichen Workshop zur Betreuungsproblematik kam ihr die die Idee, ihre Master-Arbeit zum Thema Beziehung zu schreiben. Genauer zu: „Vertrauen als zentraler Wirkfaktor in der pädagogischen Beziehung zwischen Pädagogen/innen und Jugendlichen in erfahrungspädagogischen Maßnahmen“. Ein wichtiger Grund für die Wahl des Themas:

„Um den Erfolg erfahrungspädagogischer Maßnahmen nachzuweisen, liegt der Fokus in bisherigen Studien hauptsächlich auf den eingesetzten Methoden und ihrer Wirkungsweise. Doch vor allem eine vertrauensvolle und tragfähige Beziehung zwischen Betreuungspersonen und Jugendlichen ist eine wichtige Voraussetzung und gleichzeitig ein wichtiges Instrument für einen gelingenden pädagogischen Prozess. „ (Einleitung, 8)

Es waren im Wesentlichen zwei Forschungs-Fragestellungen, die sie beschäftigten:
„Die Forschungsfrage „Inwiefern stellt Vertrauen einen zentralen Wirkfaktor in der pädagogischen Beziehung zwischen (Erlebnis-) Pädagogen/innen und Jugendlichen in erfahrungspädagogischen Maßnahmen dar?“ wird unterteilt in die beiden Unterfragen Fragestellung 1: „Welche Faktoren spielen für das Zustandekommen von Vertrauen zwischen Betreuungsperson und Jugendlichen eine Rolle?“ und Fragestellung 2: „Wie wirkt sich Vertrauen auf die (subjektive) Qualität der Beziehung zwischen Betreuungspersonen und Jugendlichen sowie auf die Lern-und Veränderungsprozesse der Jugendlichen aus?“

8 Diskussion und Zusammenfassung der Ergebnisse

8.1 Übersicht über die Ergebnisse

Um einen Überblick über die Ergebnisse zu erlangen, werden in der folgenden Tabelle die Hauptkategorien und die entsprechenden Ergebnisse, die mit theoretischen Annahmen verknüpft werden, genannt. Im Zuge dessen soll darauf hingewiesen werden, dass die theoretischen Annahmen aus unterschiedlichen Disziplinen und Richtungen stammen, da, wie bereits vermerkt, die Forschungslandschaft zu diesem Thema nur begrenzt Erkenntnisse bieten kann.

Eintrittskontext

Ein äußerer Gegner bzw. Gegenspieler (z.B. Jugendamt, Eltern/ein Elternteil) ist für die Beziehungsmotivation und den Bindungsaufbau hilfreich und gibt den Jugendlichen die Möglichkeit, sich ein Stück weit vom Kontext des ˏfreiwilligen Zwangsˊ zu lösen.

Beziehungsqualität

Die Passung bzw. das ˏMatchingˊ spielt im Fall eines kompatiblen Bindungsverhaltens von Jugendlichem/r und Betreuungsperson eine wesentliche Rolle für die Qualität der Beziehung. Partizipation als Koproduktion oder Mitgestaltung des Alltags ist für die Entwicklung der Jugendlichen von großer Wichtigkeit. Der Eintrittskontext wirkt sich jedoch nicht auf den Grad der Partizipation aus. Eine gute Vertrauensbeziehung bzw. ˏfully-functioning-relationˊ ist durch empathisches, kongruentes, wertschätzendes und offenes Verhalten gekennzeichnet.

Beziehungskritische Faktoren

Im Verhalten der Jugendlichen geht es unter anderem um das Austesten von Grenzen. Zu einem
Vertrauensbruch kam es in keiner der hier behandelten Fälle.

Beziehungsbegünstigende Faktoren

Passgenauigkeit/Matching; Haltung der Betreuungspersonen: Ruhe, Respekt, Humor, Ehrlichkeit und verlässliches Kontaktangebot, bedingungslose Aufmerksamkeit (vgl. Rogers, Kap.4.5), Empathie und Kongruenz.

Vertrauen

Zu den vertrauensfördernden Faktoren gehören der Zeitaspekt, sprich die Dauer der Maßnahme und die Unterstützung (von Seiten der Betreuungsperson). Außerdem spielen Erwartungen an das Gegenüber eine Rolle für den Vertrauensaufbau.

Fortschritte und Lernprozesse/Ziele

Mithilfe einer guten Vertrauensbeziehung erfahren die Jugendlichen wieder Selbstwirksamkeit und können so ihre aktiv mitgestalteten Ziele in ihrem ˏHelferkreisˊ verfolgen.
Im Folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse, die zur ersten Fragestellung passen, vorgestellt.

8.2 Positive und negative Faktoren für den Vertrauensaufbau

8.2.1 Auswirkungen des Eintrittskontextes auf den Beziehungsverlauf

Der Beginn der Maßnahme wird in der Kategorie Eintrittskontext geschildert. Innerhalb dieser Kategorie wird deutlich, dass vor allem das Jugendamt den Eintrittszeitpunkt in das Projekt und das zeitliche Ende festlegt. Es geht hier auch um den Aspekt der Freiwilligkeit der Jugendlichen. Ob die Entscheidung der Jugendlichen für eine Maßnahme jedoch als freiwillig bezeichnet werden kann, ist fragwürdig, da ihnen aufgrund ihrer langen Jugendhilfekarrieren oft keine andere Wahl bleibt. Klawe (2010) spricht in diesem Zusammenhang auch von freiwilligem Zwang. In den Aussagen der Jugendlichen, aber auch der Betreuer/innen wird deutlich, dass das Jugendamt als machtvolle Institution gesehen wird, die am Ende die wichtigen Entscheidungen trifft. Außerdem bestimmt in der Wahrnehmung der Jugendlichen das Jugendamt alles. Der Beginn der Maßnahme und der Betreuungseinrichtung wird ihrer Meinung nach in letzter Instanz vom Jugendamt festgelegt. Die Wahl der Betreuungsperson liegt jedoch beim jeweiligen Träger.

Da der Eintritts- sowie der Austrittskontext in allen hier vorgestellten Fällen vom Jugendamt bestimmt werden, spielt das Jugendamt als Institution eine Rolle für den weiteren Beziehungsverlauf. Zum Beispiel kommen auf Seiten der Jugendlichen kommen auf, dass die Zeit mit dem/der Betreuer/in frühzeitig vom Jugendamt beendet wird. Die Tatsache, dass das Jugendamt eine Maßnahme genehmigen muss und die Kosten dafür übernimmt, spielt ebenso eine Rolle. Es wird zwar von allen Seiten versucht mit dem Jugendamt gut zusammenzuarbeiten, doch auch von den Betreuern/innen werden Befürchtungen geäußert, dass der Beziehungs- und Vertrauensaufbau vom Jugendamt unterbrochen oder frühzeitig abgebrochen wird.

Auf den weiteren Beziehungsverlauf und das Bindungsverhalten wirkt sich besonders aus, wie das Jugendamt von Seiten der Jugendlichen und Betreuungspersonen wahrgenommen wird. Denn anhand der Aussagen in den Interviews lässt sich feststellen, dass sich oftmals der/die Jugendliche und der/die Betreuer/in als Verbündete fühlen, die dem Jugendamt sozusagen gemeinsam gegenüber treten. Wenn sich gerade in der Anfangszeit der Maßnahme, Jugendlicher/e und Betreuer/in zusammenschließen und das Jugendamt als ˏäußeren Gegnerˊ sehen, kann das von der Betreuungsperson genutzt werden, um eine Bindung zum/r Jugendlichen aufzubauen. Es kann dann zu einer größeren Verbundenheit zwischen Betreuer/in und Jugendlichem/er kommen, die sich für die Durchsetzung der gemeinsam erarbeiteten Interessen beim Jugendamt stark machen. Als äußerer Gegenspieler kommt nicht nur das Jugendamt in Frage (Jugendlicher1), sondern z.B. auch die Mutter (Jugendliche 2, Jugendlicher 3).Folglich lässt sich annehmen, dass ein äußerer Gegner für die Beziehungsmotivation und den Bindungsaufbau hilfreich ist und den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich vom Kontext des ˏfreiwilligen Zwangsˊ ein Stück weit zu lösen.

8.2.2 Beziehungskritische Faktoren

Unter beziehungskritischen Faktoren sind solche zu verstehen, die einen Vertrauensaufbau behindern oder verzögern können. Anhand der Interviewaussagen ergibt sich diese Kategorie, die vor allem auf das Verhalten der Jugendlichen eingeht, mit den Subkategorien Grenzen testen und Vertrauensbruch. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Kategorien aufgrund der häufigen Nennungen entstanden sind und nicht das Verhaltensspektrum der Jugendlichen widerspiegeln sollen. Diese Art von Prüfung der Beziehung ist in den bisher vorgestellten theoretischen Annahmen nicht aufgetaucht. Das mag daran liegen, dass beispielsweise in den Vertrauensbedingungen von Cocard (2003) und Schweer (1996) das Augenmerk nur auf ˏpositivenˊ Faktoren und Haltungsweisen liegt, die einen Vertrauensaufbau in der pädagogischen Beziehung stärken (vgl. Kapitel 5.4). In den qualitativen Fallstudien von Riemann et al. (2014) gibt es die Kategorie problematisches Sozialverhalten, die am ehesten mit den hier genannten beziehungskritischen Faktoren übereinstimmt. Wie schon in Kapitel 8.3.1 beschrieben, lässt sich hier nochmal zusammenfassend sagen, dass die Jugendlichen ihre Betreuungsperson und ihre Beziehung testen, die Grenzen ausloten und erkennen, dass ihre Beziehung daran nicht zerbricht. Wenn diese Prüfung erfolgreich bestanden wird und sie erkennen, dass der/die Betreuer/in trotzdem bleibt, stärkt das umso mehr ihre Vertrauensbeziehung.

In der Subkategorie Vertrauensbruch wird deutlich, dass ein Abbruch des Vertrauens in den hier vorgestellten Beziehungen nie stattfand, denn wie im vorhergehenden Absatz geschildert wird das Vertrauen und damit die Beziehung zwar auf den Prüfstand gestellt, sie bleibt jedoch bestehen.

8.2.3 Beziehungsbegünstigende Faktoren

Die beziehungsbegünstigenden Faktoren beschreiben vor allem die notwendige Haltung der Betreuungspersonen, um eine gute Vertrauensbeziehung aufbauen zu können. Die in den Interviews angesprochenen Faktoren und in der Folge entstandenen Subkategorien Ruhe, Respekt, Humor, Ehrlichkeit und verlässliches Kontaktangebot zeigen, was die Jugendlichen an ihrem/r Betreuer/in schätzen und wie sich die Pädagogen/innen selbst charakterisieren. Die aufgestellten Vertrauensbedingungen von Schweer (1996) und Cocard (2003) haben ähnliche Tendenzen und überschneiden sich zum Teil mit den hier entstandenen Subkategorien. Wie schon in Kapitel 5.4.1 dargestellt, sieht Cocard (2003).

Vertrauenswürdigkeit, die sich für ihn aus Ehrlichkeit und Fairness zusammensetzt, als wesentliche Bedingung für den Vertrauensaufbau an. Auch Schweer (1996) spricht von den Faktoren Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit, Zugänglichkeit, Aufrichtigkeit und Sicherheit, die ebenfalls die gleiche Tendenz wie die in dieser Arbeit entwickelten beziehungsbegünstigenden Bedingungen aufweisen. Die Subkategorie Humor taucht bisher jedoch in keiner der theoretischen Abhandlungen auf und stellt im Rahmen dieser Arbeit eine neue Erkenntnis dar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Haltung der Betreuungspersonen zum Großteil mit den erwarteten und aus den theoretischen Annahmen entwickelten Bedingungen übereinstimmt.

8.2.4 Vertrauen

Wie in den vorhergehenden Kapiteln geht es auch in der Kategorie Vertrauen um vertrauensfördernde Faktoren. Dazu gehören die in den Interviews angesprochenen Faktoren bzw. Subkategorien Erwartungen, Zeitaspekt und Unterstützung, die sich mit den vertrauensbildenden Faktoren nach Cocard (2003) und Schweer (1996) decken. Unter dem Zeitaspekt ist die Auswirkung der Dauer der Maßnahme auf den Beziehungsverlauf zu verstehen. Schweer (1996) sieht Vertrauen als 8 Diskussion und Zusammenfassung der Ergebnisse zukunftsorientiert an, was demnach eine relative Beziehungsdauer voraussetzt und wiederum zu der Kategorie Zeitaspekt passt.
Zu der Subkategorie Unterstützung können auch die Faktoren Sicherheit, Zuverlässigkeit, Zugänglichkeit und persönliche Zuwendung nach Schweer (1996) gezählt werden.

8.3 Auswirkungen von Vertrauen auf subjektive

Beziehungsqualität und Lern- und Veränderungsprozesse

8.3.1 Subjektive Beziehungsqualität

Das zentrale Thema Beziehung ist für die allgemeine Forschungsfrage dahingehend relevant, dass Vertrauen erst innerhalb einer Beziehung gefasst und aufgebaut werden kann. In der Fragestellung 2 wird eruiert, wie sich die subjektiv beurteilte Beziehungsqualität auf das Vertrauensverhältnis auswirkt.
Die Kategorie Beziehungsqualität wird in die Subkategorien Passung, Partizipation und helfende Beziehung unterteilt.

8.3.1.1 Passung

Das Zusammenspiel bzw. das Zueinanderpassen von Jugendlichem/r und Betreuer/in wird von allen drei Betreuern/innen thematisiert, von den Jugendlichen meldet sich nur einer zu Wort. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Passung bei den Betreuern/innen möglicherweise präsenter ist als bei den Jugendlichen und sie diese als essentiell für den Beziehungsprozess erachten. Das Zusammenpassen wird von den Interviewpartnern/innen definiert als gute Teamarbeit, freundschaftliche Beziehung, Ähnlichkeiten und ˏChemieˊ, die zwischen einander stimmt.

In den einzelnen Betreuungsverläufen ergibt sich erwartungsgemäß ein differenziertes Bild der Beziehungsqualitäten. Zur Passung zwischen Jugendlichem/r und Betreuungsperson sagt Riemann et al.: „Es liegt auf der Hand, dass es für solch unterschiedliche Anforderungen in der pädagogischen Arbeit auch unterschiedlicher Betreuerpersönlichkeiten bedarf, die dem, was die Jugendlichen aktuell und für ihre Entwicklungen brauchen, mit ihrem Charakter, ihren Fähigkeiten, ihren Erfahrungen usw. entsprechen“ (ebd. 2014, S. 292).

Durch das Matching, was so viel wie Passgenauigkeit und gegenseitiges Einlassen bedeutet (vgl. Kapitel 4.4), kann sich eine Beziehung entwickeln, die positive Bindungserfahrungen ermöglicht.
Konkret, d.h. wie im Fall der Jugendlichen 2, kann das bedeuten, dass sie ihre Betreuerin als Ersatzmutter bezeichnet und viele Ähnlichkeiten zwischen sich und der Betreuerin feststellt. Sie sieht sich in einer „richtigen Familie“ gut aufgehoben und benennt die Unterschiede zu ihrem bisher gewohnten Familienleben.

Riemann et al. (2014) gehen davon aus, dass sich die vier Paradigmen der Bindungstheorie von Mary Ainsworth (vgl. Kapitel 4.4) auf die erfahrungspädagogische Arbeit mit Jugendlichen übertragen lässt.

• Die Wahrnehmung ist auf das Befinden des/der Jugendlichen gerichtet. Der/Die Betreuer/in hat den/die Jugendlichen/e im Blick.
• Äußerungen des/der Jugendlichen erhalten eine angemessene Interpretation, ohne von den Bedürfnissen des/der Betreuers/in beeinflusst zu sein.
• Eine prompte und zeitlich angemessene Reaktion von Seiten des/der Betreuers/in ist für den/die Jugendlichen/e wichtig, um einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Verhalten und der Handlung des/der Betreuers/in herzustellen. „Eine zeitnahe Reaktion vermittelt ihm ein Gefühl der Wirksamkeit seines Verhaltens und seiner Signale im Gegensatz zur Hilflosigkeit, die sich einstellt, wenn das Verhalten wirkungslos ist“ (Riemann et al. 2014, S. 329).
• Die Reaktion sollte angemessen sein, d.h. dem Alter und Entwicklungsstand des/der Jugendlichen und der Situation entsprechend.

Zusammengefasst stellen Riemann et al. fest, dass es in der bindungsorientierten Einzelfallarbeit mit Jugendlichen darauf ankommt, ob das Bindungsverhalten von Betreuungsperson und Jugendlichen zusammen passt. Für die Autoren/innen bedeutet das konkret, „dass die Betreuenden in Situationen von Angst, Stress oder Konflikten ein zum Bindungsverhalten des Jugendlichen kompatibles Bindungsverhalten aufweisen“ (Riemann et al. 2014, S. 330). Diese ˏMatching-Theseˊ (ebd. S. 331) gilt es in Zukunft zu überprüfen und gegebenenfalls muss im Vorfeld einer Maßnahme auf ein kompatibles Bindungsverhalten geachtet werden.

Das Phänomen der Scheinanpassung ist in den drei hier vorgestellten Beziehungen nicht aufgetreten (vgl. Felka 2011), auch da bei keinem der drei Jugendlichen eine konfliktfreie Anpassung zu beobachten ist. Das mag daran liegen, dass gerade in der Anfangsphase Auseinandersetzungen nicht gescheut wurden und auch mit einem großen Helferkreis, bestehend aus Träger, Jugendamt, Eltern und Betreuer/in, das Verhalten des/der Jugendlichen aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen werden konnte.

8.3.1.2 Partizipation

Wie schon in der Darstellung der Ergebnisse festgehalten, wird die Partizipation der Jugendlichen zwar allgemein als wichtig empfunden, innerhalb der Interviews aber nur von einer Betreuerin explizit angesprochen. Das liegt entweder daran, dass die Frage nach Partizipation nicht deutlich genug gestellt wurde, oder daran, dass zwar der Begriff Partizipation nicht explizit von den Interviewten genannt wird, wohl aber die Bedeutung in anderer Weise erläutert wird. Implizit kommt Partizipation in Form von Mitgestaltung des Alltags sehr wohl in allen drei Beziehungen zum Ausdruck. Allerdings dürfte das nicht von Anfang an so gewesen sein, sondern entstand erst mit dem Aufbau von Beziehung und Vertrauen bzw. dadurch, dass die Teilnahme und die Maßnahme nicht mehr als ˏfreiwilliger Zwangˊ ohne Alternative wahrgenommen wurde, sondern als tatsächlich weitgehend freiwillig. Klawe (2010) beschreibt Partizipation als Koproduktion bzw. Mitgestaltung des Alltags, was für die Jugendlichen von großer Wichtigkeit ist, da sie die Konsequenzen ihres Handelns unmittelbar in alltäglichen Situationen spüren (vgl.Kapitel 3.1.6). Von den drei befragten Jugendlichen wird das Mitwirken am Alltagsgeschehen so beschrieben, dass sie einen gewissen Tagesrhythmus und eine Struktur vorgelebt bekommen, an welchen sie sich orientieren und aktiv beteiligen können. Etwas selbst zu schaffen oder zu erschaffen gelinge laut der Aussage von Jugendlicher 3 nur, „weil ich jemanden im Rücken hatte, der mich gestärkt hat“.

Laut Klawe (2010) kann gerade in erfahrungspädagogischen Maßnahmen auf die Kompetenzen, Fähigkeiten und Ressourcen des Einzelnen eingegangen werden, um eine passende Form der Beteiligung bzw. Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit herauszufinden. Die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Maßnahme spielt dabei auch eine Rolle für das Ausmaß an Partizipation. Klawe (2010) spricht davon, dass eine unfreiwillige Teilnahme an einer Maßnahme große Auswirkungen auf eine erfolgreiche Koproduktion und Partizipation des/der Jugendlichen haben kann. Diese Annahme kann im Rahmen der hier durchgeführten Interviews jedoch nicht bestätigt werden. In allen drei Fällen ist von einer mehr oder weniger freiwilligen Teilnahme auszugehen, da sich letztendlich das Jugendamt für oder gegen das Durchführen des Projekts mit jenem Setting (Betreuer/in, Jugendlicher/e, Ort, Dauer usw.) entscheidet. Es können weder positive noch negative Auswirkungen der Entscheidungen des Jugendamtes auf die Partizipation der Jugendlichen festgestellt werden. Der von Klawe (2013) geprägte Begriff des freiwilligen Zwangs beschreibt die Lage dieser Jugendlichen sehr treffend und ist auch in den Aussagen der interviewten Jugendlichen spürbar. Im Rahmen der Ergebnisse dieser Arbeit kann hier sogar von einer Effektumkehr gesprochen werden, d.h. dass die Beziehungszeit und das Vertrauen den Zwangscharakter einer Maßnahme für die Jugendlichen abdämpfen und schlussendlich eine positive Auswirkung auf die Koproduktion und Partizipation haben.

8.3.1.3 ˏFully-functioning-relationˊ oder helfende Beziehung

Die Jugendlichen äußern sich ebenfalls zur Beziehungsqualität, insofern sie ihre Beziehung als hilfreich bezeichnen. Die Jugendlichen finden an der Beziehung folgendes hilfreich: die Aufmerksamkeit und die Unterstützung, die sie von Seiten der Betreuungsperson erhalten, das gemeinsame Lösen schwieriger Situationen und die mögliche Veränderung ihrer Situation durch die Hilfe des/der Betreuers/Betreuerin.

In den zu beantwortenden Fragestellungen wird nach den Voraussetzungen für eine ˏfully-functioning-relationˊ gefragt, was so viel wie ˏgute Vertrauensbeziehungˊ bedeutet. Dieser Ausdruck ist an die Theorie von Rogers und dem von ihm 8 Diskussion und Zusammenfassung der Ergebnisse geprägten Begriff der ˏfully-functioning-personˊ angelehnt. In Kapitel 4.5 wird dargestellt, welche drei Tugenden eine ˏfully-functioning-personˊ nach Rogers (1987) vereinen sollte: Kongruenz, Empathie und Wertschätzung.

Die Voraussetzungen für eine gut funktionierende Beziehung sind daraus abzuleiten. Vor allem in Interview 1 wurde deutlich, dass sowohl Betreuerin 1 als auch dem Jugendlichen 1 wichtig ist, ihre Gefühle und Einstellungen offen zu legen und sich so zu zeigen, wie sie sind. Auch negative Gefühle haben in dieser Beziehung Platz. Das kongruente Verhalten einer Person ermöglicht nach Rogers (1987) das Vertiefen einer Beziehung.

Empathisches Verhalten bzw. einfühlendes Verstehen zeigt sich vor allem in Interview 2. Sowohl die Betreuerin 2 als auch die Jugendliche 2 betonen ihr Verstehen des Gegenübers und ihre Ähnlichkeiten. Auf Seiten der Betreuungspersonen ist für die Beziehungsgestaltung wichtig, die Welt der Jugendlichen klar sehen zu können. Dadurch kann den Jugendlichen ihr Verhalten, ihre Handlungsweisen und das Erleben bewusst gemacht werden, was sie zuvor noch nicht aktiv wahrgenommen haben (vgl. Rogers 1987). Die Aufmerksamkeit, die den Jugendlichen geschenkt wird, wird von ihnen als hilfreich bezeichnet. Sie kann auch als Wertschätzung bzw. positive Zuwendung von Seiten der Betreuungsperson gesehen werden. Diese sollte laut Rogers (1987) nicht an Bedingungen oder bestimmte Verhaltensweisen geknüpft sein, was aus den Interviews auch nicht hervorgeht. Die vorgestellten Bedingungen für eine ˏfully-functioning-relationˊ überschneiden sich zum Teil auch mit den Annahmen von Cocard (2003) und Schweer (1996). Die Vertrauensbedingungen Reziprozität und Vertrauenswürdigkeit nach Cocard (2003) und die Faktoren Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit, persönliche Zuwendung und Aufrichtigkeit (vgl. Schweer 1996), die die Haltung der Betreuungsperson beschreiben, lassen sich in dieser Arbeit bestätigen. Zusammenfassend sind die Haltung der Betreuungspersonen, das Schenken bedingungsloser Aufmerksamkeit, Empathie und Kongruenz, begünstigende und zentrale Faktoren für eine gelingende Vertrauensbeziehung. Damit ist auch die erste Fragestellung ein Stück weit mehr zu beantworten und die Verbindung zwischen Fragestellung 1 und 2 wird deutlich.

8.3.2 Fortschritte und Lernprozesse

In Fragestellung 2 wird neben den Auswirkungen von Vertrauen auf die Beziehungsqualität auch nach den Auswirkungen auf die Lern- und Veränderungsprozesse der Jugendlichen gefragt. In den Ergebnissen wird deutlich, dass eine gelungene Betreuungsbeziehung, die sich unter anderem durch Vertrauen auf beiden Seiten auszeichnet, eine entscheidende Rolle für die Entwicklung und das Lernen der Jugendlichen spielt.

Die oft traumatisierten Jugendlichen können in einem familienähnlichen Umfeld wieder lernen, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen. Durch die bedingungslos geschenkte Aufmerksamkeit und die Unterstützung ihrer Betreuungsperson, kann sich der aktive Wunsch nach Veränderung entwickeln. Die Jugendlichen lernen vor allem durch Selbstwirksamkeit mehr Selbstvertrauen zu erlangen, durch Motivation eigene Ziele zu verfolgen und ihre Aggression und Wut zu kontrollieren. Da die Maßnahmen bis zu eineinhalb Jahren dauern können, haben die Jugendlichen genug Zeit, in ihrem eigenen Tempo die nächsten Schritte zu wagen.

Ziele werden von dem gesamten Hilfeplankreis (Träger, Jugendamt, Eltern, Jugendliche) gemeinsam festgelegt, allerdings ist es für die Jugendlichen äußerst wichtig, eigene Absichten und Bestreben zu entwickeln und verfolgen zu können.